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Eovyn
Grünschnabel
Dabei seit: 11.06.2009
Beiträge: 7
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Fragen zum offenen Unterricht |
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Hallo zusammen,
ich befinde mich ebenfalls im Entspurt meines Examens und habe nächste Woche eine Prüfung zum Thema offener Unterricht bzw. alternative Unterrichtsformen in Erziehungswissenschaft.
Mich beschäftigen insbesondere noch zwei Fragen:
1. Auch wenn einem der offene Unterricht in seiner reinen Form hauptsächlich in der Grundschule begegnet, lassen sich Varianten wie die Freinet-Pädagogik oder auch der Reisetagebuchunterricht nach Ruf/ Gallin bestimmt auch an der weiterführenden Schule praktizieren. Das die Schüler mitunter wild am pubertieren sind, ist die eine Sache. Das finde ich persönlich jetzt aber noch nicht einmal so problematisch. Die Umsetzung ist wahrscheinlich auch aus dem Grund nicht ganz unproblematisch sein, da die Schüler das Prinzip von Unterricht meist nicht gewohnt sind. Darüber hinaus frage ich mich aber immer wieder, wie sich das gerade in den letzten Jahren mit der Zentralisierung des Schulsystems vereinbaren lässt. Wie will man den Unterricht wirklich offen gestalten, wenn in regelmäßigen Abständen Lernstandserhebungen und zentrale Abschlussprüfungen stattfinden, bei denen klare Kompetenzen und Qualifikationen im Vordergrund stehen und die Schüler schlichtweg auf einem Level sein müssen?
2. Alternativ zu Peschel habe ich mich mit Kriegers Ausführungen zum offenen Unterricht befasst. Er sagt ja, dass durch den offenen Unterricht die Schüler langsam an notenrelevante Leistungsnormen herangeführt werden sollen und schlägt drei verschiedene Normen für die Bewertung vor. Bauer hingegen, der sich mit dem offenen Unterricht in der Sek. I auseinandergesetzt hat, sieht diesen ja dort eher als Bonbon und schlägt eine Bewertung vor, die recht nahe an der bisher üblichen orientiert ist. Wie sieht Peschel das? Grundsätzlich könnte ich mir vorstellen, das er von einer Bewertung im klassischen Sinne eher absieht, aber ganz darauf verzichten kann man doch auch nicht, da die Schüler ja auch eine Rückmeldung haben wollen? Oder orientiert er sich da eher an der Freinet-Pädagogik und einer Benotung in Form von Leistungskurven?
Vielen Dank schon mal für Rückmeldungen!
LG, Eovyn
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11.06.2009 16:54 |
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Chris McFaz
Eroberer
Dabei seit: 22.09.2007
Beiträge: 56
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Bewertungen und Zentralisierung |
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Hallo Eovyn!
Du schreibst:
Zitat: |
Wie will man den Unterricht wirklich offen gestalten, wenn in regelmäßigen Abständen Lernstandserhebungen und zentrale Abschlussprüfungen stattfinden, bei denen klare Kompetenzen und Qualifikationen im Vordergrund stehen und die Schüler schlichtweg auf einem Level sein müssen? |
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Da hast du ja schon die dickste Lüge des Schulsystems reproduziert: Dass alle Kinder zu einem gewissen Zeitpunkt auf dem gleichen Level sind. Die können bestenfalls ähnliche Dinge gleichzeitig wiedergeben, können tun sie sie selten, gelernt haben sie meist nichts. Das kannst du auch ganz leicht an den Lehrplänen nachvollziehen, die damals für dich gegolten haben. Was kannst du noch, also was hast du gelernt? Und was hast du nur für die Prüfung in dich hineingestopft um es dann auf Kommando wieder herauszuwürgen? (Entschuldige die heftige Wortwahl, aber deshalb heißt es eben Bulimielernen...)
Die Zentralisierung ist die absolute Sackgasse und führt zu nichts (Gutem)!
In der Geschichte der Reformpädagogik finden sich übrigens viele positive Beispiele für offene Unterrichtsformen, etwa Summerhill, Sudbury und auch viele Freie Schulen hierzulande mit angeschlossener Sek.
Zu zweitens wäre es am besten, wenn du ihn selber fragst, ich kann mir aber vorstellen, dass seine Meinung nicht anders ist als die zur Notengebung in der Grundschule. Auf offener-unterricht.net findest du die Emailadresse.
Nur ein eigener Satz zu deiner Aussage
Zitat: |
ganz darauf verzichten kann man doch auch nicht, da die Schüler ja auch eine Rückmeldung haben wollen |
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. Eine Rückmeldung ist doch nicht zwangsläufig eine Bewertung! Wenn ich irgendwo eine Fähigkeit trainieren gehe und der Trainer sagt mir die ganze Zeit (unaufgefordert), was ich schon kann und was noch nicht, dann gehe ich dort nicht mehr hin. Ich brauche jemanden, der mir den gegangenen Weg reflektieren hilft, der mir hilft Schlüsse aus ihm zu ziehen, der mir hilft, vorwärts zu blicken, mich auf die nächsten Herausforderungen zu freuen. Das leisten Noten und Bewertungen nicht. Sie tun oft das Gegenteil.
Nun wünsche ich dir noch viel Glück für dein Examen! Du bist kurz davor, eine der letzten notwendigen Phasen des Bulimielernens hinter dich zu bringen.
LG
Christian
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11.06.2009 20:13 |
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Eovyn
Grünschnabel
Dabei seit: 11.06.2009
Beiträge: 7
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Bewertung und Zentralisierung |
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Hallo Chris,
danke für die schnelle Rückmeldung!
Ich stimme Deinen Ausführungen vollkommen zu, jedoch beantworten sie nicht unbedingt meine Frage. Sicherlich ist es nach dem regulären Lehrplan schon kaum möglich, die Schüler alle auf Level zu bekommen. Aber zum einen haben wir nun die Kernlehrpläne, wo klare Kompetenzen formuliert werden, wir haben die zentralen Vergleichsprüfungen und wir haben auch die verkürzte Schulzeit am Gymnasium. Das diese Entwicklung individuellen Lernprozessen nicht zuträglich ist, ist mir völlig klar. Nur, wenn es schon nach dem regulären Unterricht sehr schwer ist, wie soll das dann im offenen Unterricht funktionieren? Oder wird da schulintern bei den Lernstandserhebungen etc. so gemogelt, dass nur nach außen der Anschein von Vergleichbarkeit erweckt wird? Wundern würde es mich nicht, zumal es ja auch an manchen sog. innovativen Schulen nicht viel anders läuft...was Peschel ja auch kritisiert.
Zum Bulimielernen: Ich glaube, das ich das jetzt noch extreme praktiziere, als zur Schulzeit. Der einziege Unterschied ist, dass es jetzt doch ein Stück weit interessenbezogen ist, aber dafür unterliegt man leider auch etwas der Willkür mancher Dozenten...meine Erfahrung zumindest.
LG, Eovyn
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12.06.2009 09:19 |
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Chris McFaz
Eroberer
Dabei seit: 22.09.2007
Beiträge: 56
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Hi Eovyn! Will noch mal versuchen, deine Fragen zu beantworten. Erst mal zu deinem letzten Post: Ich finde es nicht richtig, da von Lernstandserhebungen zu sprechen. Ich denke die Antwort liegt eben im Bulimielernen, die Kinder reproduzieren zu einem gewissen Zeitpunkt das von ihnen verlangte Wissen gemäß gaußscher Normalverteilung - ein paar sehr gut, viele mittelmäßig, ein paar schlecht. Man muss zwar nicht mogeln, aber für's Leben lernen sieht eben auch anders aus. Wie soll das jetzt im wirklich offenen Unterricht funktionieren, fragst du. Gar nicht, vor allem nicht in der Sek. Da kannst du nur entweder halbseidene Konzepte fahren, oder du passt die Bildungspläne so an, dass sie nur noch beinhalten, was in einer Gesellschaft wirklich Grundlage ist, was aber dazu führen würde, dass es die Schüler ohnehin lernte, was wiederum die Pläne überflüssig machen würde.
Es gibt in der Schweiz Schulen wie die SBW, da gibt es Kompromissformen, die sich aber nicht als solche verstehen. Das sind sicherlich nicht die schlechtesten Schulen. Treibhäuser der Zukunft zeigt noch mehr solche Beispiele. Die sind halt nicht wirklich demokratisch und nicht richtig offen, jedenfalls nicht 100%.
Was du über dein Lernen schreibst am Schluss, kann ich soooooo gut nachvollziehen. Ein Stück weit interessebezogen, aber was man daraus macht, liegt in der Hand der Dozenten. Ich wollte z.B. in Englische Literatur George Orwell machen, durfte aber nur Charles Dickens.... So geht es eben.
Bleib am Ball.
LG
Christian
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12.06.2009 13:35 |
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Chris McFaz
Eroberer
Dabei seit: 22.09.2007
Beiträge: 56
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Nachsicht und Geduld vorhanden... |
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Weiß gar nicht, warum ich Nachsichtig sein soll. Ich freu mich ja sehr, dass du dich mit dem Thema auseinandersetzt. Wenn du mir sagst, aus welcher Ecke du kommst, hab ich vielleicht sogar eine Empfehlung, welche Schule in deiner Nähe eine Hospitation wert sein könnte (wg. Sek.)
Mit deinem ernüchternden Schluss hast du sicherlich ein stückweit recht: Da ist unter anderem die ziemlich starke Gymnasiallobby in Deutschland verantwortlich. Aber da sich das Bildungssystem über kurz oder lang sowieso dezentralisieren muss und in lokalen Strukturen aufgehen, also die Schule machen, die es betrifft, ist der Weg über eine Freie Schule ja schon ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn er finanziell nicht so verlockend sein mag, wie die staatliche Variante.
Vielleicht hast du übrigens Glück mit deinen Prüfern und es entsteht ein gutes Gespräch, das wäre dir zu wünschen. (Und dass die das dann auch zu würdigen wissen!)
Grüße
Christian
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13.06.2009 23:51 |
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Eovyn
Grünschnabel
Dabei seit: 11.06.2009
Beiträge: 7
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freie oder staatliche Schule |
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Eine Hospitation wäre durchaus sehr interessant, aber da befürchte ich, fehlt mir die Zeit. Im Oktober/ November habe ich meine letzten Prüfungen, dann ziehe ich erst einmal um und im Februar beginnt ja mein Referendariat. Ich denke, dass das recht knapp sein wird. Aber welche Schulen kennst Du denn im Ruhrgebiet?
Im Zusammenhang mit dem finanziellen Aspekt ist für mich die Tatsache, auf die Verbeamtung verzichten zu müssen, noch ausschlaggebender. Mal abgesehen davon, dass ich gerne Sicherheiten habe, lässt sich das einfach mit einer Familie besser vereinbaren. Da muss ich dann schon so ehrlich sein und sagen, dass mir das doch wichtiger ist. Aber das ist ein ganz anderes Thema...
Ich denke aber, dass ich offene Unterrichtsformen durchaus im Kunstunterricht realisieren kann. Die Schulen sind da in der Regel recht aufgeschlossen für, um Kunst auch mal von dem Ruf des stupiden Bildermalens wegzubekommen. Da hatte ich auch sehr positive Rückmeldungen auf meine Experimentalreihe die ich im Rahmen meiner Examensarbeit erprobt habe. Darüber hinaus hoffe ich einfach, dass ich meine beiden Fächer auch öfter mal verbinden kann, was sich meines Erachtens auch gut anbietet.
Wie ist das eigentlich mit den Abschlüssen an einer freien Schule...werden die staatlich anerkannt?
LG, Eovyn
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14.06.2009 09:47 |
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Chris McFaz
Eroberer
Dabei seit: 22.09.2007
Beiträge: 56
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Hi Eovyn,
ich höre mich gerade wegen Schulen um, falls ich Rückmeldung bekomme, will ich es schreiben.
Wegen der Abschlüsse: Das kommt ganz auf die Schule an. In Deutschland gibt es vielfältige Möglichkeiten. Eine Schule kann anerkannt sein und Abschlüsse vergeben dürfen, oder aber auch nicht. Man kann externe Prüfungen ablegen, sich aber an einer Freien Schule darauf vorbereiten. So ist es z.B. in Summerhill, nur dass es in England Teilabschlüsse für die verschiedenen Fächer gibt.
Was den Aspekt der Sicherheit betrifft, finde ich, dass gerade aus diesem Grund der Beamtenstatus abgeschafft gehört. Man sollte sich unabhängig von solcherlei Bedenken für die Art von Arbeit entscheiden, für die man sich berufen fühlt. Man muss an der richtigen Stelle sein. Ich will deine Entscheidung auf keinen Fall in Frage stellen oder kritisieren. Sie ist für dich sicherlich die richtige.
Mir persönlich hat aber der Abschnitt aus I. Yaloms "Und Nietzsche weinte" imponiert:
Zitat: |
Ich liebe die Gefahr nicht! Wenn mich etwas lockt, dann nicht die Gefahr – eher das Entkommen, und zwar nicht der Gefahr, sondern der Sicherheit. Vielleicht habe ich zu sicher gelebt! Wer weiß, Josef, ob ein sicheres Leben nicht tatsächlich gefährlich sei. Gefährlich tödlich. |
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Aber jeder muss für sich selber entscheiden und die Verantwortung für die Entscheidung tragen.
Entschuldige so viel Schwere.
Dafür leichte Grüße
Christian
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14.06.2009 13:34 |
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