paed.com - der etwas andere Bildungsserver - Reformpädagogik

Deutschland - England - Frankreich - USA

Landerziehungsheime - Gemeinschafts- und Versuchsschulen - Arbeitsschulen - Höhere Schulen - Berufliche Schulen

Die bürgerliche Arbeitschule:
Georg Kerschensteiner: Arbeit als Handwerk



Text drucken

Arbeitsschulen - G. Kerschensteiner: Arbeit als Handwerk - R. Seidel: Arbeit als Handwerk - O. Scheibner: Handarbeit als integrierender Unterricht - H. Gaudig: Freie geistige Schularbeit - P. Blonskij: Industriearbeitsschule - Henry-Ford-Gewerbeschule in Detroit - H. Parkhurst: Dalton-Loboraty-Plan - Slöjd
Text drucken

In München entwickelte Georg Kerschensteiner (1854-1932) - Stadtschulrat (1895-1918) - schon 1908 eine eigene Theorie einer 'bürgerlichen' Arbeitsschule: " Die mit der Hand auszuführenden Aufgaben verlangten [...] aus sich heraus Einstellungen und Fertigkeiten, die vom Lehrer im traditionellen Unterrichtsgespräch apellativ oder autoritär eingefordert werden mussten" (S. 968)

Die richtige Einstellung (Gesinnung, Haltung, Attitüden) sollten durch die 'bildende und versittlichende Wirkung von Handarbeitsprozessen' (zitiert nach U. Schwerdt (2013): Unterricht, S. 968f) erreicht werden. Unbedingt erforderlich ist, dass ein Projekt erfolgreich zu Ende gebracht wird. Dieser Bildungsprozess wird durch Arbeit erreicht, weil das handwerkliche Tun - die Arbeit - des Schülers immer wieder erneut auf das Ziel hin durchdacht werden muss.
    "Unter bildungstheoretischer Perspektive bestand die zentrale These Kerschensteiners darin, dass ein planmäßig durchgeführter manueller Arbeitsprozess den gleichen Wert für die 'Schulung des Denkens' besitzt wie traditionell, rein kognitiv bestimmmte Inszenierungsmuster des Unterrichts. (zitiert nach U. Schwerdt (2013): Unterricht, S. 969)
Georg Kerschensteiner verglich die Lernverläufe im Arbeitsprozess mit denen beim Übersetzen klassischer lateinischer Texte. In Anlehnung an John Dewey (1858-1952) arbeitete er fünf Stufen bei einem logischen Denkprozess heraus:
  1. Beobachtung, die eine Schwierigkeit in der Deutung unmittelbar empfinden lassen
  2. die nähere Umgrenzung und Feststellung der Schwierigkeiten
  3. die Vermutung einer möglichen Lösung
  4. die vernunftmäßige Entwicklung der Konsequenzen der Vermutung
  5. weitere Beobachtungen für ihre Annahme oder Ablehnung und damit Abschluß des Prozesses.
    (zitiert nach u. Schwerdt (2013), S. 969; Kerschensteiner, Georg 19708: Wesen und Wert naturwissenschaftlichen Unterrichts, Leipzig, Berlin, S. 48ff)
Berühmt geworden ist das von Georg Kerschensteiner vorgestellte 'Starenkastenbeispiel':
    "Ein Lehrling soll aus einem Brett von 160 cm Länge, 20 cm Breite und 1 cm Dicke mit geringstem Holzabfall und geringem Aufwand an Zeit und manueller Arbeit - also ökonomisch-wirtschaftlich - ein Starenhaus herstellen, dessen Dachfläche von 1:2 geneigt ist, und die etwa 5 cm über die Vorderseite des Hauses hinausragt." (Zitiert nach U. Schwedt 2013: Unterricht, S. 369; Kerschensteiner, Georg (192812): Begriff der Arbeitsschule, München/Stuttgart, S. 33f)
Leider fehlt jeder Hinweis auf die schwedische Slöyd-Bewegung, die hier wohl Pate gestanden hat, ohne von Georg Kerschensteiner erwähnt zu werden.

Dem 'Basteln' wird von ihm bescheinigt, es sei "sorg- und mühelos spielende(r) Dilettantismus. [...] Arbeitsschule heißt nicht: Wachsen lassen, wie es eben wächst sondern den Willen bedingungslos dem Gesetz der Sache unterwerfen". (Ebenda, S. 370) Ulrich Schwerdt ordnet Georg Kerschensteinerso ein:
    Es "wird (in seinen Schriften) deutlich, dass Kerschensteiners Unterrichtskonzept in ein konservatives Bildungs- und Gesellschaftsverständnis eingebunden ist, in dessen Mittelpunkt der Staat als das 'oberste sittliche Gemeinwesen' und die Erziehung zum 'brauchberen Staatsbürger' steht. [...] Die im Arbeitsunterricht erworbenen Befähigungen dienen nicht dazu, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch zu analysieren und eigene Interessen zu formulieren, sondern sind, zumindest für die breite Mehrheit der Bevölkerung im Sinne von [...] Sekundärtugenden zu verstehen." (S. 970f)
Weil nur
    "'wenige in der Lage sind, sich eine eigene Anschauung über den Staatszweck und seine Mittel sich zu bilden. Die allermeisten müssen anderen überlassen, für sie politisch zu denken.' Deshalb komme es für die große mehrheit der Schülerinnen und Schüler darauf an, ein Bewußtsein dafür zu entwickeln, 'einer Gemeinschaft zu dienen' und sie 'an die Pflicht zu gewöhnen, unter freiwilliger Einfügung, Unterordnung, gegenseitiger Rücksichtnahme und nicht zuletzt unter freiwilligen persönlichen Opfern und unter Hochachtung der moralischen Tapferkeit diese Gemeinschaft sittlich zu fördern'." (Schwerdt, Ulrich (2013): Unterricht, S. 971)
Die Charakterbildung, die Vorbereitung auf den Beruf und die Staatsbürgerliche Erziehung seien Elemente eines in sich geschlossen Gesamtkonzeptes. (S. 971)



Literatur:

  • Keim, Wolfgang, Schwerdt, Ulrich (2013): Handbuch der Reformpädagogik in Deutschland. FfM
  • Kerschensteiner, Georg (1909): Staatsbürgerliche Erziehung der deutschen Jugend, Erfurt
  • Kerschensteiner, Georg (19296): Der Begriff der staatsbürgerlichen Erziehung, Leipzig
  • Kerschensteiner, Georg (1912): Begriff der Arbeitsschule, Leipzig/Berlin