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Neue Deutsche Schule - Dürerschule - Elementarklassen und Volksschule am Georgsplatz - Rudolf Steiner Schule - Versuchsschule Hellerau - Schullandheime Dresdner Schulen -

Dresden: Elementarklassen


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    Schon 1912 wurden in Dresden 16 Elementarklassen in verschiedenen Stadtteilen genehmigt. In ihnen sollte nach den Prinzipien der Arbeitsschule unterrichtet werden und so eine Reform der Unterstufe eingeleitet werden. Die Arbeit blieb unbefriedigend und bestätigte so die Notwendigkeit der Einrichtung einer regelrechten Versuchsschule. Die wurde aber erst 1920 verwirklicht: Es war die 46. Volksschule am Georgsplatz 5

Dresden: Versuchsschule: 46. Volksschule am Georgsplatz

    Die Novemberrevolution der Arbeiterbewegung schränkte auch die reaktionäre Schulbürokratie ein. Der Arbeiter- und Soldatenrat leitete Maßnahmen zur Demokratisierung des Schulwesens ein. Der Lehrer Martin Weise hatte viele Vorträge darüber gehalten und in der Sächsischen Schulzeitung veröffentlicht, dass Erziehung nicht auf 'Pauken und Drill' sondern auf den schöpferischen Kräften des Kindes beruhe.

    Er führte drei Gründe für die Arbeitsschule an:

    1. Alle schöpferischen Kräfte des Kindes sollten gerufen, alle Begabungen und erschlossen und entwickelt werden
    2. Allen Pflichten und Rechten des Kindes sollte entsprochen werden um ein 'gesundes' Verhätnis zwischen Lehrer und Schüler zu schaffen
    3. Es sollte nicht nur die Schulbegabung sondern auch die Lebensbegabung erfasst werden

    Daher sollte

    • an jeder Schule Schülerwerkstätten eingerichtet und Werkunterricht eingeführt werden
    • jeder Schule ein Schulgarten bzw. Ackerland für selbständige Schülerarbeit, tägliche Beobachtung und anregende Versuche zur Verfügung gestellt werden
    • jedem Klassenlehrer die Möglichkeit geboten weden, ja nach den Interessen und Begabungen der Kinder die Klassen zeitweise zu arbeitsgruppen umzugestalten
    • jede Schule die Klassen auflösen und in wahlfreien Arbeitsgemeinschaften nach Begabungen der Kinder vereinigen können
    • jede Schule die Klassenstärke weiter herabsetzen dürfen

    Es sollte das pädagogische Anliegen sein, die Kreativität bei vielen Schülern zu entfalten und sie zu einer selbständigen Persönlichkeit für den Dienst in der Gemeinschaft heranzubilden.

    Gesamtunterricht in der Unterstufe und Fächerverbindungen in der Oberstufe würden allerdings die Preisgabe des Fächerunterrichts bedeuten, aber so werde die Aneignung und Festigung von Wissen und Können besser erreicht, weil der Unterricht direkt an die Erlebniswelt der Schüler anschließen würde.

    Der Gesamtunterricht gehe von der Totalität des Lebens aus und erhelle so die Zusammenhänge, in denen das Kind Lebe. Auch aus der Kunsterziehungsbewegung übernahm Martin Weise den Gedanken, Kinder nicht nur zu Kunstgenießern, Kunstempfänglichen und Kunstverständigen, sondern zu Kunstschaffenden und schöperischen Menschen heranzubilden. Er wollte vor allem die Aktivität und Phantasie der Kinder wecken. Deswegen trat er auch für die 'Programmlosigkeit' ein - gemeint ist die Unabhängigkeit von einem Lehrplan - und wollte lieber an der jeweils aktuellen Bewusstseinslage der Jugendlichen anknüpfen. Die Arbeitsschule sollte Hilfestellung bei der Suche nach dem individuellen Lebensstil des Kindes geben.

    Quelle: Mebus, Sylvia (1987): Zu den Vorstellungen des Dresdner Lehrers Martin Weise - über die Ausgestaltung der Volksschule zur Arbeitsschule in den ersten Jahren der Weimarer Republik, in: Beiträge zur sächsischen Schulgeschichte, Dresdner Hefte 12, Dresden

Aus dem gemeinschaftlichen Bericht der Lehrerschaft der Desdner Versuchsschule:

    Mit 22 LehrerInnen (6 weibliche und 16 männliche) und 590 SchülerInnen in 16 Klassen begann der 1920 Schulversuch zunächst ohne Koedukation. Später wurde die Zahl der LehrerInnen um vier gekürzt. Die volle Koedukation folgte 1922 ab der untersten Stufe.

    Zu Beginn gab es kein ausführliches Programm, sondern nur Absichtserklärungen: "Die Anregung zu aller Betätigung soll ausgehen von den Kindern innewohnenden Trieben und von der gegenseitigen Beeinflussung zwischen Kindern, Lehrern Eltern, Umwelt" (aus der Denkschrift für die Behörde anlässlich der Gründung der Schule)

    Stattdessen gab es viele Fragen:

      "Welche Triebe sind im Kinde beim Eintritt in die Schule vorhanden, die als Ausgangspunkt für die Betätigung in der Schule dienen könnten? Welche Entwicklung kann an diesen Triebkräften beobachtet werden? können diese Triebkräfte durch Kindergemeinschaften, Lehrer, Erwachsene, Umwelt beeinflußt werden? Welche Stoffe, Naturdinge, Werkzeuge haben das besondere kindliche Interesse? Welche Stellung nehmen die Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens in einem kindesgemäßen Unterricht ein? Wie werden die Triebkräfte bis zur Erlangung davon Fertigkeit geübt? Wie kann der Entwicklungsfortschritt beim Einzelkinde festgestellt werden? Machen sich neben dem gemeinsamen Unterricht besondere organisatorische Einrichtungen nötig, um die in Art, Stärke und Zeit verschieden auftretenden Triebkräfte zu fördern?"

    An 'Trieben' - sicher nicht im psychologischen Sinn - werden der:

    • Bewegungstrieb: Die damals üblichen Schulbänke werden durch Einzeltische mit Stülen ersetzt, die den Kindern mehr Bewegungsfreiheit einräumen und auch eine andere Unterrichtsgestaltung erleichtern. Außerdem wird der Unterricht in den Sommermonaten möglichst ins Freie verlegt: "Die kleinen leichten Stühle, Papptafeln und Kreide wanderten mit uns hinaus ins Freie unter einen schattigen Baum. Hier fanden wir uns bald beim Ausruhen vom Bewegen zu gemeinsamer sprachlicher oder malender Betätigung zusammen, bald leisten wir dem sich durch Unruhe meldenden Bewegungstrieb in Licht und Sonne bei Spiel und Tanz sein Recht, bald spazierten wir in die Umgebung, um der Sinnesfreude der Kinder Genüge zu tun am Leben der Tiere, am Treiben der Menschen bei der Arbeit und im Verkehr. Das Trieb- und Sinnesleben der Kinder wurde uns zum ordnenden Prinzip, zum natürlichen Stunden- und Lehrplan." (S. 236)
    • Sprechtrieb: Dieser sei bei sechsjährigen nun mal eben stark ausgebildet und es sei für den Lehrer unbequem, wenn 10 bis 15 Kinder gleichzeitig reden. Aber er müsse sich an diese Impulsivität der Kinder gewöhnen. "Die sprachliche Unbeholfenheit vieler Menschen, die unsere Schulen durchlaufen haben, ist am Sprechtrieb Sechsjähriger gemessen beschämend groß." (S. 237) Die Entwicklung des sprachlichen Ausdrucks sei eng verknüpft mit der geistigen Entfaltung. Kinder würden ihren Wortschatz erweitern, neue Worte in ihr Sprachgut eingliedern und auch anwenden. Sie würden lernen zwischen Mundart und Schriftdeutsch zu unterscheiden, zwischen richtigen und falschen sprachliche Formen zu differenzieren. Für die Fertigkeit und Gewandtheit im sprachlichen Ausdruck sei das selbsttätige Üben Voraussetzung. "Die Treffsicherheit und Sachlichkeit des Ausdrucks werde bei wirklichen und lebensnotwendigen Anlässen erprobt und Unklarheit oder Unsachlichkeit würden zur Übung und Vervollkommnung zwingen.
    • Zähltrieb: An ihn knüpfe die mathematische Bildung an. Indem Kinder bei vielen Gelegenheiten des täglichen Lebens konkrete Erfahrungen mit Zahlen und Zahlbeziehungen machen, lernen sie Rechnen auch ohne ein abstraktes System. "Alle Zahl- und Formbegriffe und -beziehungen gewannen wir auf konkreter Grundlage, die notwendige Abstarktion vollzog sich durch häufige Anwendung und Übung allmählich von selbst." (S. 238)
    • Handbetätigungstrieb: Die 'alte Schule' habe dieses Bedürfnis von Kindern vollkommen beiseite geschoben. Wir pflegen die sog. Klassenzimmertechniken (Formen, Legen, Bauen; Falten, Schneiden, Kleben, Basteln,...) bis in die Oberstufe der Volksschule. "Eine lange Reihe von Techniken konnte beim Herstellen von GegenstŠnden für die Schulgemeinde unf für den kindlichen Gebrauch geübt werden. Gesamtunterricht und Werkunterricht in eine lebensgemäße Verbindung zu bringen ist uns noch nicht nach unseren Wünschen gelungen." (S. 239)
    • Die Techniken des Lesens und Schreibens sind für 6- bis 7jährige nicht kindgemäß. (Sperrung im Original, S. 239) Dies gelte besonders dann, "wenn sich der Maltrieb des Kindes nach Herzenslust betätigen darf und wenn dem Verlangen des Kindes nach Versen, Geschichten und Märchen des Lehrers Vortrags und Erzählkunst ausreichend" nachgekommen wird. Trotzdem müsse der Lehrer diese Techniken 'planmäßig und zielbewußt" (S. 239) vorbereiten und üben."Die Techniken des Lesens und Schreibens wurden nicht in der alten Weise betrieben, [...] sondern kursmäßig, mit Zielen, die den Kindern völlig bewußt waren und die auch zeitlich nicht die Willenskraft der Kinder überstiegen. Ziel der Übung war nicht ein von außen gesetzter Maßstab, sondern eine den Anlagen und der Entwicklungsstufe des Einzelkindes angepaßte Vollkommenheit in der Beherrschung dieser Arbeitsmittel. [...] Geübt wurde nicht in sinnlos jahraus jahrein in angesetzten Stunden, sondern dann, wenn wir eine Notwendigkeit erkannten, dann aber nicht brockenweise, oft weit auseinanderliegenden Übungsstunden, sondern laufend hintereinander mit Willensaufgebot und Willensanstrengung, bis wir der Schwierigkeiten Herr geworden und darum die Übung aussetzen konnten." (S. 239)


    Zusammenfassend könne man festhalten: "Das kindliche Triebleben konnte als Ausgangspunkt dienen für das große weite Gebiet der sittlichen Erziehung, der Willensbildung. (Sperrung im Original, S. 240) [...] Wir stellten fest, das wohl jeder Stoff auf jeder Entwicklungsstufe wieder in das Blickfeld des kindlichen Interesses rücken kann, es ändern sich die Einstellung des Kindes zum Stoffe, der Umfang seiner Konzentrationsfähigkeit und die Ausdrucksweisen des Kindes. Diese Erkenntnis macht stofflich eingestellte Lehrpläne unmöglich. (Sperrung im Original, S. 241) [...] In der Grundschule will sich das Kind erst möglichst viele Einzelerscheinungen [...] erobern. Das ordnende Prinzip stellt sich dann auf der Oberstufe (der Volksschule, JG) naturnotwendig ein. [...] Die Ansätze dazu (müssen) bereits in der Grundschule" erkannt und gepflegt werden.

    Quelle: o.A.: Die Dresdner Versuchsschule - gemeinschaftlicher Bericht der Lehrerschaft der Desdner Versuchsschule, in: Hilker, Franz (1924): Deutsche Schulversuche, Berlin, S. 232-251
Literatur:
  • Amlung, Ulrich (2009): Reformpädagogische Versuchsschulen in Dresden in der Zeit der Weimarer Republik, in: Dresdner Hefte, 27(2009), S. 16-35
  • Nitschke, Th. (2003): Die Gartenstadt Hellerau als pädagogische Provinz, Dresden, S. 57-71
  • Pehnke, Andreas (1998): Sächsische Reformpädagogik, Traditionen und Perspektiven, Leipzig
  • Poste, B. (1993): Schulreform in Sachsen. Eine vergessene Tradition deutscher Schulgeschichte, Frankfurt
  • Poste, B. (1993): Reformpädagogik und Schulreform in Dresden zur Zeit der Weimarer Republik, in: Pehnke, Andreas (1998): Sächsische Reformpädagogik, Traditionen und Perspektiven, Leipzig, S. 89-106

  • Nietzsche, M. (1924): Die Volkschule Hellerau, in: Hilker, Franz (1924): Deutsche Schulversuche, Berlin, S. 277-291
    Versuchsschule Hellerau

  • Schwenzer, G. (1923): Die Dresdner Versuchsschulen, in: Fritz Karsen: Deutsche Versuchsschulen in der Gegenwart und ihre Probleme, Leipzig, S. 114-123

  • Uhlig, Max (1924): Versuchsschule Humboldtschule M., Chemnitz, in: Hilker, Franz (1924): Deutsche Schulversuche, Berlin, S. 292-302
    Versuchsschule Humboldtschule

Schulformen der Weimarer Republik

Im Kaiserreich war die Volks­schu­le eingeführt worden. Sie dauerte 8 Jahre. Die Schulpflicht in ihr galt für alle Kinder - soweit sie damals durchgesetzt werden konnte.

An die Volksschule schloss sich die sog. drei-jährige Vorschule an, die gegen hohe Gebühren von Kindern wohlhabender El­tern besucht wurde und auf das Gymnasium vorbereitete.

Am 28. 4. 1920 verfügte das Reichsschulgesetz dass die Grundschule von allen Kindern für vier Jahre Besucht werden sollte. Die Vorschulen wurden geschlossen, um die Ungerech­tigkeit im Bildungswesen auf­zuheben. Die Volksschule dauerte nach wie vor acht Jahre. Viele der Volksschulen waren konfessionelle, d.h. evange­li­sche oder katholische Schulen.

Mit dem Ende des Ersten Welt­krie­ges endete mit der Ära von Thron und Altar auch die kirch­liche Schulaufsicht. Die Streit­fra­ge war, ob eine Religion das Recht hat, ihre Sichtweise in einem eigenen (konfesionellen) Unterricht zu vermitteln und ob die SchülerInnen, die dieser Konfession angehörten, diesen Unterricht auch zwangsweise besuchen mussten. Weltliche Schulen hatten daher gar keinen Religionsunterricht, Gemein­schafts­schulen einen Religionsunterricht für alle Kon­fes­sio­nen. In ihnen wurden die Klassen gemeinschaftlich in religiösen Themen unterrichtet.

Nach der Grundschule konnten die Schüler gegen ein Schulgeld von 10,- RM (Reichsmark) auf die Mittelschule oder gegen bis zu 20,- RM monatlich auf ein Gymnasium wechseln.

In der Weimarer Republik wurde auch das Schulgeld für die Volks­schule abgeschaft. Das Schulgeld für das Gymnasium wurde erst in der BRD im Jahre 1950 abgeschafft.

Versuchsklassen oder Ver­suchs­schu­len waren Klassen oder Schulen, die unter be­son­de­ren Bedingungen arbeiten durften, z.B. Ko­edu­ka­tion, Aufhebung des Lehrplans, ...