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Dresden: Versuchsschule Hellerau


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    Hellerau wurde 1908 als Gartenstadt von dem Industriellen (Möbelfabrikant) Karl Schmidt gegründet. Ihm ging es um die Einheit von Wohnen und Arbeit, Kultur und Bildung. Er beauftragte den Architekt Richard Riemerschmid. Der plante den Bau der Werkstätten und dazu eine Wohnsiedlung mit Kleinstwohnhäusern für die Arbeiter, geräumigen Landhäusern, Markt, Geschäften, Wasch- und Badehaus, Praxen, Ledigenwohnheim, Schule und Schülerwohnheim. Neben Riemerschmid gehörten Heinrich Tessenow, Hermann Muthesius und Kurt Frick, aber auch Theodor Fischer zu den renommierten Architekten. Hellerau war zu dieser Zeit von allen Bauvorschriften befreit. Emile Jaques-Dalcroze, ein Komponist und Musikpädagoge aus der Schweiz, der mit seiner selbst entwickelten "Rhythmischen Gymnastik" in Deutschland Menschen zu begeistern suchte, kam nach Hellerau, wo er zunächst im Schulsaal der Werkstätten unterrichtete. Für ihn wurde ein eigenes Gebäude, die "Bildungsanstalt für Rhythmische Gymnastik" ("Hellerauer Festspielhaus") errichtet. 1939 wurde die Bildungsanstalt für Rhythmische Gymnastik von den Nationalsozialisten in einen Kasernenhof umgebaut, und nach 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht weiter militärisch genutzt. 1992 wurde sie an das Bundesvermögensamt zurückgegeben.

    1914 wurde das Gebäude im Stil der alten Schule aufgebaut - ohne Werkraum, ohne Arbeitsräume für Naturwissenschaften. Noch während des Umbaus nahm die Schule ihren Betrieb auf. Kinder und Lehrer halfen mit. Es entstanden Schmuckmalereien sowie ein gelbes und ein grünes Zimmer, eine Wandverkleidung aus haltbarem Kleisterpapier hergestellt ebenso wie Kreidekästchen und Tintenfässer, eine Leseecke wurde eingerichtet, eine große Tischdecke bestickt, Türschilder gemalt. Für die ABC-Schützen wurden die Wände mit Bildern verschönert: Vögel, Maibaum, Apfelbaum, Osterhase, Badescenen, Sommerfest, auf dem Jahrmarkt, Pfefferkuchenhaus, Bilder von Hänsel und Gretel. Eltern, Lehrer und Kinder arbeiteten zusammen. Es galt die Folgen des Krieges zu überwinden. Keines der Kinder erreichte 1924 das Durchschnittsgewicht seiner Altersstufe!

      "Die Tat sollte im Mittelpunkt aller Erziehung stehen. Nur notwendiges, sinnvolles Tun kann bilden. Alles übermitteln, Beibringen, Belehren, Einprägen, Anlernen bildet nicht, es lackiert und friesiert nur. Das Tun muss den ganzen Menschen erfassen in seiner Einheit von Leib und Geist. [...] Die größtmögliche Entfaltung seines Wesens, bewußte Herausarbeitung der Eigenart eines jeden und sinnvolle Einordnung seiner besonderen Kräfte in den Dienst der Allgemeinheit.
      Freude und Befriedigung haben wir immer gefunden, wenn wertvolle Arbeit geleistet werden konnte im Schulgarten, der uns billiges Obst und Gemüse lieferte beim Bau einer Wasserleitung im Gartenm beim Umbau im Hause, bei Gestaltung der Zimmer, bei Reinigung und festlicher Zurichtung der Räume, beim Bereiten des Essens, beim Herstellen von Heften und Spielzeug.
      Hierbei fanden die Kinder wieder ds natürliche Verhältnis zu den Dingen, die Liebe zur Sache, die Wertschätzung des Materials das Verständnis für Werkzeuge den Sinn für gute Arbeit. Wenn wir nur recht viel solcher Arbeitsgelegenheiten und Arbeitsmöglichkeiten hätten!" (S. 283f)

    Für eine mehrtätige Wanderung erstellen die Kinder den Reiseplan, stellen den Kostenplan zusammen, suchen nach Fahrpreisermäßigungen, beschaffen das Kartenmaterial, schreiben Briefe, kümmern sich um Quartiere, suchen Beeren und Pilze, kochen selbst das Essen, stopfen ihre Strümpfe selbst, packen selbst ihre Rucksäcke. Für die Bildung muss die Bildungsathosphäre geschaffen werden. Von älteren Kindern übernehmen sie Fertigkeiten in lesen, Schreiben und Rechnen. Sie nehmen das auf, was ihren Möglichkeiten entspricht.

    Kinder nehmen bewußt an Aussprachen zwischen Eltern und Lehrern teil.

    "Weil wir Geist wollen, bekämpfen wir den Ungeist der alten Schule." (S. 280). Es gibt keine äußeren Systeme oder Lehrpläne. Lehrplan ist der Alltag: ein Erlebnis in der Klasse - Neid, Mißgunst, Freundschaft, Opfersinn, Nächstenhilfe. Oder ein Vorgang aus dem Schulleben: ärztliche Untersuchung, Körpermessung, Baden, Turnen, Besuch fremder Klassen, ein Brief, Sturmschaden, Gartenarbeit, Malerarbeiten. Oder Familienereignisse: Tod eines Vaters, Hochzeit, Einbruchdiebstahl. Oder mitgebrachte Pflanzen oder Gegenstände. Witterungs- oder Himmelserscheinungen. "Einfachste kindliche Erlebnisse führten manchmal in alle Tiefen und Weiten menschlichen Erkennens." (S. 287)

    "Zu dem Unfug von schriftlichen Aufsätzen, die nur zur Erzeugung von Schundliteratur führen können, haben wir keine Zeit. Die sprachliche Beweglichkeit, die Ausdrucksfähigkeit steht infolge der zahlreichen freien Unssprachen und häufigen Bühnenspiels der anderer Kinder keinesfalls nach. Sie schriftlich niederlegen zu lassen, heißt sie töten. In ausgiebiger Weise wird aber Breifverkehr gepflegt." (S. 287) "Lebensstätten der Jugend sollen die Schulen sein die sich die Kinder möglichst selbst gestalten, sich angemessen und wert machen, in denen sie kameradschaftlichen Umgang mit gebildeten Erwachsenen finden sollen, Stätten, wo jedes Gelegenheit hat, seine Kräfte und Fähigkeiten zu üben und zu entwickeln, Sich Freiheit des Geistes und Beherrschung des lebes zu erringen, wo in froher Gemeinschaft gearbeitet und gefeiert wird." (S. 290f)

    Quelle: Nitzsche, Max (1924): Die Volksschule zu Hellerau, in: Hilker, Franz: Deutsche Versuchsschulen, Berlin, S. 277-291. Der obige Text ist der Versuch, den ursprünglichen Text zwar gekürzt aber unter Beibehaltung des Schreibstils von Max Nitzsche wiedergegeben.
Literatur: